Die Kreißsäle von Herrenberg, Leonberg und Calw sollen geschlossen werden. Das zumindest nach Ansicht eines Unternehmensberaters, den der Krankenhausverbund Süd-West (KVSW) zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit ihrer Häuser engagiert hat. Geburtshilfen sind demnach nur noch in Böblingen und Nagold vorgesehen.

Nach der anfänglichen Schockstarre ob dieser vernichtenden Nachricht, haben die Kreisgruppen Böblingen und Calw des Hebammenverbands Baden-Württemberg in Windeseile zu einer außerordentlichen Sitzung am 12.7.23 geladen, der sich kurzerhand auch Kolleginnen aus den umliegenden Kreisen angeschlossen haben. „Fünfzig Kolleginnen sind so spontan zusammengekommen – ein gutes Signal an die Politik: wenn solche Entscheidungen im Orbit stehen, werden wir mächtig mobil“, so Jutta Eichenauer, die als 1. Vorsitzende des Hebammenverbands Baden-Württemberg dazu kam. Vom DHV-Vorstand konnte Ursula Jahn-Zöhrens (Beirätin für den freiberuflichen Bereich) kommen, da sie selbst aus der Region ist und gerade vor Ort war.

Versorgungsunsicherheit, Qualitätsverlust, Angst
Ausgerechnet: Alle drei Häuser wurden von der Baby-friendly Hospital Initiative (BFHI) von WHO und UNICEF zertifiziert. „Nicht zuletzt sind solche Zertifikate Auswahlkriterien für Eltern, ebenso und vor allem das Angebot der Hebammenkreißsäle, die es in Leonberg und in Herrenberg gibt, einer der ganz frühen Hebammenkreißsäle, der weit über die Region hinaus bekannt und beliebt ist.

Eichenauer sorgt sich um die Frauen, die demnächst noch weitere Wege riskieren müssen. „Gut 2000 Geburten, die an diesen Standorten nicht mehr gemacht werden, hinterlassen mehr als eine Lücke. Wo sollen die denn hin, die Frauen? Sind die umliegenden Häuser informiert? Eine Geburtshilfestation wie Nagold würde grad mal 1000 Geburten schaffen – und muss auch erst mal reaktiviert werden, denn der Kreißsaal wurde ja vor einiger Zeit geschlossen. Bereits jetzt haben wir hier im Land einen ausgeprägten Kreißsaal-Tourismus“, so die Verbands-Vorsitzende, die von einer Frau berichtet, die kürzlich erst in der vierten Klinik einen Platz bekommen hat, weil alle anderen voll waren. „Dann kommt hinzu, dass Frauen sich ja ganz bewusst einen Hebammenkreißsaal aussuchen – wo finden die jetzt etwas Vergleichbares? Stuttgart und Bietigheim sind ja jetzt schon überlastet“ mahnt die Hebamme.
Besonders widersinnig findet Eichenauer diese Planung, weil das Land Baden-Württemberg ab Herbst 2023 die Implementierung neuer Hebammenkreißsäle sowie die Unterstützung der bestehenden fördern wird.

Hebammen und Studierende betroffen
Als Berufsverbandsvertreterin sorgt sich Jutta Eichenauer natürlich auch um die Hebammen und die Werdenden Hebammen. Zum Teil kooperieren die Häuser ja mit den Hochschulen für die Studiengänge. Was also machen dann die Studentinnen und Studenten? Verantwortliche Praxiseinrichtungen sind nicht ohne weiteres zu finden. Oder auch die in den Kreißsälen tätigen Hebammen, wechseln diese so selbstverständlich mit nach Nagold? Weitere Anfahrten, andere Arbeitsbedingungen.

Aufforderung an die Politik
Die 1. Vorsitzende des Hebammenverbands Baden-Württemberg wird in Kürze mit Sozialminister Manne Lucha, Staatssekretärin Dr. Ute Leidig und den Gesundheitsausschuss von Baden-Württemberg das Gespräch suchen, um über die Problematik zu informieren. Schließlich war eine Frage in der außerordentlichen Sitzung der Hebammen, wie es sein kann, dass eine Klinikgesellschaft im Vorfeld der staatlichen Krankenhausreform Geld in die Hand nimmt, um einen Unternehmensberater für eine Wirtschaftlichkeitsprüfung mit Maßnahmenkatalog zu bezahlen, der mit der Krankenhausreform vermutlich ohnehin obsolet wird. Dafür gab es viel unverständliches Kopfschütteln in der Runde.

Krankenhausreform nachbessern
Zur Krankenhausreform hat die Präsidentin des Deutschen Hebammenverbands, Ulrike Geppert-Orthofer, ein Statement abgegeben. Sie fordert unter anderem Bund und Länder auf, „diese Reform jetzt konsequent voranzutreiben und als ersten Schritt die Leistungsgruppe hebammengeleitete Geburtshilfe in den Referentenentwurf aufzunehmen.“
Die Fehlanreize in der Krankenhausfinanzierung müssen endgültig beseitigt und durch neue Anreize, wie die bedarfsgerechte Finanzierung hebammengeleiteter Geburten, ersetzt werden. Nur so kann die flächendeckende Versorgung wieder hergestellt und dem Fachkräftemangel entgegengewirkt werden.

Eltern wehren sich
Jenseits aller berufspolitischen Betroffenheit sind vor allem die Eltern die Leidtragenden. Sie sind fassungslos – und können anders als die loyalitätsverpflichteten Hebammen handeln. Der Aufschrei ist laut und groß: Für den Erhalt von Herrenberg haben sie sofort eine Petition veröffentlicht, die innerhalb weniger Tage über 20.000 Unterschriften bekommen hat.

Melissa Schaich berichtete im Böblinger Bote (13.07.2023) über das Treffen der Hebammen: Geburtshilfen in Leonberg und Herrenberg. Hebammen reagieren entsetzt auf Schließungspläne.

Am 17.07.2023 fan in Herrenberg eine Bürgerinformationsveranstaltung statt, in der vehemte Kritik gegen die Pläne geübt wurde. Darüber berichtete Käthe Ruess am 18.7.23 im Böblinger Bote: Nach Nagold muss der Babynotarzt fliegen. Die Krankenhausreform und das Krankenhaus Herrenberg.