„Gewalt unter der Geburt ist ein sehr heikles Thema. Anlässlich des Internationalen Frauentags am 8. März möchte ich drei Sendungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk (WDR und SWR) zu diesem Thema aufgreifen, die seit Anfang des Jahres für Empörung sorgen. Natürlich stehen die Medien seit dem Siegeszug der digitalen Plattformen unter enormem Konkurrenzdruck. Negative Berichterstattung bis hin zum Skandal sind die Zugpferde des kommerziellen Journalismus und bekanntlich ermöglicht das anonyme Internet Polarisierung und Diffamierung, die sich besonders dazu eignen, Empörung anzuheizen. Aber bei aller Medien-Kritik muss man zugestehen, dass die digitalen Plattformen tatsächlich Tabu-Zonen aufbrechen können und seriöse Journalisten auch vernünftige Beiträge damit machen.
Nicht verallgemeinern
Ich möchte vorwegschicken, dass die dramatischen Geburtserlebnisse, wie sie (nicht nur) in den oben genannten Beiträgen geschildert werden, zum Glück nicht die Regel sind. Und ich möchte die Frauen nicht verunsichern: Geburt kann auch heute ein beglückendes Erlebnis sein.
Aber ja, es gibt Gewalt unter der Geburt – und ja, Ärzte und Ärztinnen, Pflegepersonal und Hebammen sind daran beteiligt. Dabei dürfen wir aber nicht verallgemeinern. Mit allem Respekt möchte ich denen danken, die Geburtshilfe mit Herz, Sensibilität, Empathie und Achtsamkeit vollziehen – sofern die Rahmenbedingungen es ihnen ermöglichen.
Dennoch möchte ich persönlich als Mutter, beruflich als Hebamme und gesellschaftspolitisch Verantwortliche in meiner Funktion als Vorsitzende eines Berufsverbands diese Plattform nutzen, um auf die vielen Facetten aufmerksam zu machen, die zu jenen Rahmenbedingungen führen. Und ich möchte solchen Kolleginnen den Rücken stärken, die das System kritisch hinterfragen und daher nicht nur von den Angesprochenen belacht oder verachtet werden, sondern sogar in den eigenen Reihen als Nestbeschmutzerinnen beschimpft werden. So werden wir nie gemeinsam die Geburtshilfe verbessern – was doch unser aller Anliegen ist.
Macht und Ohnmacht
Hebamme kann man nur werden, wenn man mit dem Herzen dabei ist. Aber das alleine reicht nicht. Ich selbst gehöre noch einer Generation an, die eine bestimmende und wenig frauenzentrierte Geburtshilfe gelernt hat. Bis heute hat sich nur wenig daran geändert, weil unsere Rolle durchaus schwierig ist. Wie eigentliche alle Geburtshelfer*innen lernen Hebammen, das Zepter bei der Geburt in die Hand zu nehmen. Die Grenze zu Entmündigung und Übergriff ist hauchdünn. Und als junge Hebamme befolgt man eher die Anweisungen, als dass man sie kritisch hinterfragt. Um sich gegen ein etabliertes System zu stellen, muss man erst einmal Selbstsicherheit gewinnen. Bei mir kam das Umdenken erst im Lauf der Jahre, mit den Erfahrungen, die ich privat wie beruflich gemacht habe. Dabei bleibt trotz allen selbstkritischen Hinterfragens die Erkenntnis, dass wir als Geburtshelfer*innen (ungeachtet der Arbeitsbedingungen) eine gratwandernde Aufgabe haben: wir müssen aufklären, wollen aber nicht erschrecken; wir wollen abwarten, müssen aber manchmal handeln; in kritischen Situationen müssen wir tatkräftig sein, wollen aber nicht das Gefühl der Ohnmacht verursachen; wir müssen das Ungeborene schützen, dürfen aber die Gesundheit der Mutter nicht gefährden. Das heißt, wir (und auch die Kolleginnen und Kollegen aus dem Ärzte- und Pflegestand) müssen immer Entscheidungen im Zwiespalt treffen.
Geburt zum Billig-Tarif
Und die heutigen beruflichen Rahmenbedingungen erschweren unsere Kernaufgabe, medizinisch verantwortungsvoll und zugleich empathisch zu handeln:
Medikalisierung, Bürokratisierung und Ökonomisierung bestimmen heute unseren Alltag. Allen voran die Ökonomisierung. Aber Geburtshilfe gibt es nicht zum Billig-Tarif, sie verläuft nicht in planbaren Strukturen, daher ist die Fallkostenpauschale ein gefährlicher Trugschluss und gehört abgeschafft. Für die nötige 1:1-Betreung und die Aufstockung des Personals wird Geld benötigt und in einem Sozialstaat muss geprüft werden, wie die Umverteilung der Steuermittel aussehen soll. Hier ist die Politik gefordert. Sie muss sich einmischen!
Selbstbestimmung – am Anfang wie am Ende
Dahinter steckt vor allem die Überlegung, welchen Stellenwert wir dem Prozess der Geburt in unserer Gesellschaft einräumen wollen. Das scheint mir die Kernfrage zu sein, die hinter allem steht, auch hinter der Gewalt im Kreißsaal. Wir als Gesellschaft – und ich betone, dass wir alle daran beteiligt sind und sowohl Täter als auch Opfer zugleich sein können – haben Geburt und Tod aus unserem Alltag verbannt und in die Klinik verlagert. Das ist ein gesellschaftlich akzeptierter Akt der Entmündigung und für mache bereits ein Akt der Gewalt. Gewalt wird ähnlich wie Schmerz sehr individuell wahrgenommen. Kategorisch zu behaupten, sie fände nicht statt, ist daher unmöglich.
Gebären als Teil der Biografie
Gebären muss wieder als Teil der Biografie der Frau verstanden und etabliert werden, über die sie selbst Herrin ist. Wenn Frauen dafür ihre vertraute Umgebung verlassen müssen, ist das ein Einschnitt in ihr Leben, ihre Persönlichkeit. Allein die Fahrt zur Klinik ist ein Eingriff, denn oft sind die Wehen bei der Ankunft in der Klinik erst einmal weg, der individuelle zeitliche Ablauf ist bereits jetzt dahin.
In der Klinik schließlich herrschen die ökonomischen Zwänge vor, eine weitere Quelle der Gewalt. Oft fehlt die Zeit zum Aufklären und zum Zuhören, es fehlt die gebotene Aufmerksamkeit für das individuelle Geschehen. Routine bestimmt die Abläufe. Das kann dazu führen, dass wichtige Rückmeldungen der Gebärenden zu ihrem Befinden überhört oder ignoriert werden – und bei einem möglichen gefährdenden Fortschreiten des Geschehens sogar überhört werden müssen. Das Gefühl von Nötigung, Demütigung, Misshandlung oder gar Vergewaltigung kann sich hieraus entwickeln.
Die daraus resultierende Traumatisierung hat schwerwiegende Folgen für die Mutter, das Kind, die ganze Familie – und nicht zuletzt auch für die Helferinnen und Helfer. Auch sie können von diesem Erlebnis traumatisiert werden.
Die heutige Geburtshilfe zu hinterfragen, ist daher kein reines Frauenthema, auch wenn ich den Frauentag zum Anlass nehme. Das Fazit – und das vor allem spiegeln die besagten Sendungen – ist ein vernichtendes Armutszeugnis für unsere Gesellschaft. Hier muss ein Umdenken stattfinden.“
Jutta Eichenauer
Ergänzende Informationen dazu, wie wir Geburtshilfe verbessern können:
Zum Internationalen Frauentag: