2020 sollen die Geburtshilfestationen Achern und Oberkirch zusammengelegt werden. Die beiden Kliniken sind seit einiger Zeit bereits fusioniert. Doppelstrukturen werden abgebaut. Die Gründe sind in erster Linie Wirtschaftlichkeit, Personalgewinnung und Qualitätsmanagement. Am 24. Juli 2018 entscheidet der Kreistag abschließend über den bereits vorliegenden Beschluss des Krankenhausausschusses.
Hebammen, Ärzte und Eltern vor Ort sind besorgt, wie der Übergang überhaupt vollzogen werden kann, denn weder die Geburtshilfeabteilung in Offenburg (Level-1-Klinik) noch die kleine Abteilung in Achern können zusätzliche 560 Geburten aus Oberkirch in den bestehenden Abteilungen bewältigen. Hier gilt es, einen vernünftigen Übergang zu schaffen.
Immer längere Wege
Egal welche der beiden Geburtshilfestationen geschlossen werden wird, der ländliche Raum wird weiter geschwächt. Die Anfahrtszeiten in die nächste Geburtsklinik werden verlängert. Die Maßnahme mag aus Sicht von Kreistag und Krankenhaus wirtschaftlich vorteilhaft sein, für die Frauen und Familien ist das mit erheblichen Nachteilen verbunden. „Natürlich muss man sich Gedanken darüber machen, wie man der Forderung nach Wirtschaftlichkeit begegnet, aber es kann nicht darin liegen, kleine Geburtshilfestationen einfach zu schließen und somit mehr und mehr die Entfernungen zur nächsten Klinik zu vergrößern“, betont Jutta Eichenauer, 1. Vorsitzende des Hebammenverbands Baden-Württemberg e. V.
Sicherheit auf Kosten von Sicherheit?
„Wenn Frauen unter Wehen lange Strecken fahren müssen, um gebären zu können, dann ist das nicht nur eine große psychische Belastung! Es wächst auch die Gefahr von Unterwegs-Geburten, bei denen keine professionelle Unterstützung parat ist. Da muss doch die Frage erlaubt sein, welchen Sinn es macht, aus Sicherheitsgründen kleiner geburtshilfliche Abteilungen zu schließen– das ist doch völlig widersinnig“, so Eichenauer. „Die Entfernung zur nächsten Geburtshilfestation wird aufgrund der Schließung Geburtshilflicher Abteilungen immer weiter. Da kann viel passieren. Immer öfter kommt es vor, dass eine Frau auf der Fahrt zur Klinik spontan gebären muss, weil die Fahrtzeiten sich verlängern und nicht mehr einschätzbar sind. Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, wie gefährlich das in einem beengten und unhygienischen Raum ist, auf einer vielbefahrenen Bundesstraße oder gar Autobahn, im Stau, bei Gewitter oder Schneesturm und im Dunkeln und vielleicht ohne Handyempfang… – man darf sich da tatsächlich mal drastische Szenarien ausmalen, schließlich gehen die Forderungen nach Level-1-Absicherung auch immer vom Worstcase aus“, hebt Eichenauer hervor und weist besorgt darauf hin: „So eine Geburt ist kein schönes Erlebnis, sie ist ein traumatisches Erlebnis mit psychischen Langzeitfolgen für Mutter und Kind!“ (Wir berichteten beispielhaft von einem solchen Fall). Von mehr Sicherheit kann also nicht die Rede sein.
Eine Geburt ist nicht planbar
Der öfter gemacht Vorschlag, einfach rechtzeitig die Klinik aufzusuchen, ist für die Hebamme keine Lösung. „Eine Schwangere kann nicht wirklich einschätzen, ob das Ziehen in der Leiste eine Blähung ist, oder bereits der Beginn der Wehen. Und selbst wenn es die Mehrfachgebärende vielleicht ahnt: man kann nie wissen, wie schnell es geht. Eine Geburt ist einfach nicht planbar! Die Empfehlung, rechtzeitig in die Klinik zu fahren, ist daher völlig abwegig, ja paradox, denn Schwangere werden normalerweise wieder weggeschickt, wenn sie noch nicht so weit sind. Und das ist auch richtig so, denn in der Latenzphase hat eine Schwangere nichts in der Level-1-Klinik verloren, sie ist ja nicht krank! Andererseits kann man sie auch nicht alleine zuhause lassen!“, warnt Eichenauer. „Hier wäre die Betreuung durch die Hebamme bereits der richtige Ansatz, aber dafür muss sie eine höhere Stufe ihrer Berufshaftpflichtversicherung abschließen, und diese Beitragssätze kann sich kaum eine Hebamme leisten, weil die Vergütung nicht angemessen ist.“ (Wir berichteten mehrfach.)
Forderung nach Eins-zu-eins-Betreuung
„Die Lösung liegt also genau in den kleinen Stationen, die mehr und mehr geschlossen werden. Geburtshilfestationen mit unter 500 Geburten sind gemäß Definition nicht mehr wirtschaftlich – aber genau die sind perfekt zum physiologischen Gebären, weil hier die Frauen in Ruhe gelassen werden“, so das Fazit der Hebamme.
Wenn alle Rahmenbedingungen stimmen, verliefen die meisten Geburten physiologisch, so Eichenauer, nur wenige benötigten das Backup einer Notfallstation (Level-1-Klinik). Schwangerschaft und Geburt sind keine Krankheiten, für die bestimmte Maßnahmen (Therapie, Operation etc.) erforderlich wären. Bei aufmerksamer Begleitung lassen sich Gefahren rechtzeitig erkennen. Der Schlüssel zur Sicherheit liege für die Geburtshilfe nicht in der Zentralisierung auf große Kliniken mit Notfalleinrichtung, sondern eindeutig in der Eins-zu-eins-Betreuung durch Hebammen: „In Kalifornien zum Beispiel ist die bereits gesetzlich festgelegt, denn Studien weisen nach, dass die Eins-zu-eins-Betreuung während der Schwangerschaft und unter der Geburt ein Höchstmaß an Sicherheit gewährleistet und mögliche Risiken auf ein Minimum reduziert oder gar ausschließen kann*. Eine kleine geburtshilfliche Abteilung, ein Geburtshaus oder die Hausgeburt sind somit die erste Wahl, die Klinik ist dem pathologischen Verlauf vorbehalten“, so Jutta Eichenauer. „Wo Geburtshilfestationen bei uns im ländlichen Raum schließen, nähern wir uns den Voraussetzungen von dünn besiedelten Landstrichen, wie sie in Kalifornien anzutreffen sind – wenngleich natürlich nicht so weitläufig. Dennoch kann uns das zum Vorbild dienen, was anderswo gängige und erfolgreiche Praxis ist. Wenn also Klinikschließungen im ländlichen Raum aus welchen Gründen auch immer nötig sind, so müssen dafür angemessene Übergangszeiten gewährleistet sein, um mögliche Alternativen umsetzen zu können, die den Menschen vor Ort wirklich nutzen und nicht schaden. Und die bestehen aus unserer Sicht in der Bereitstellung der Eins-zu-eins-Betreuung – gerne nach kalifornischem Vorbild gesetzlich verankert“, so die Landesverbandsvorsitzende, schließlich sei das Recht auf flächendeckende Versorgung mit Hebammenhilfe auch bei uns Gesetz, die rechtlichen Voraussetzungen lägen also im Prinzip längst vor.
(*National Institute for Health and Care Excellence (NICE): Intrapartum care for healthy women and babies. Clinical guideline [CG190], 2014; Safe midwifery staffing for maternity settings. Nice guideline [NG4], 2015; sowie: de Jonge, Peters L, Geerts CC et al.: Mode of birth and medical interventions among women at low risk of complications: A cross-national comparison of birth settings in England and the Netherlands. PLoS One 2017; 12:eo180846. Informationen/Quelle: Egloff F., Ruckstuhl-Meier R.: Die kontinuierliche Eins-zu-eins-Betreuung hat ihren Preis – auch in der Stillzeit. Hebammenforum 5/2018, S. 509-515)