Eine Brandrede von Jutta Eichenauer

„Bühl ist ein Indiz für eine besorgniserregende Entwicklung“, konstatiert Jutta Eichenauer, 1. Vorsitzende des Hebammenverbandes Baden-Württemberg. „Die Zentralisierung in der klinischen Geburtshilfe schreitet voran, immer mehr kleine dezentrale Kreißsäle werden geschlossen. Die Folgen greifen tief in unsere Gesellschaft ein“, prophezeit die Hebamme und nennt zwei Phänomene beim Namen, die sich parallel entwickeln: die immer größer werdenden Lücken in der flächendeckenden Versorgung mit Hebammenhilfe/Geburtshilfe sowie den Rückgang der natürlichen Geburtskultur.

Um gute Zahlen zu schreiben
Die Kliniken von Bühl, Balg und Ebersteinburg werden miteinander verschmolzen. Dass dergleichen Zusammenschlüsse wirtschaftliche Maßnahmen sind, wird gerne mit einer kleinen Geburtenrate in Verbindung gebracht – und vermeintlich legitimiert: Ein Kreißsaal mit unter 500 Geburten im Jahr ist unrentabel. Jutta Eichenauer erklärt: „Auch bei geringer Geburtenzahl müssten Kliniken einen Notfallapparat vorhalten, der auch ohne Einsatz permanent kostet. Da sie sich den nicht leisten (können), ist die Mortalitätsrate hier höher, auch wenn er nur selten gebraucht wird. Hinzu kommt, dass die natürliche Entbindung billiger ist, der Klinik also wenig einbringt, der Kaiserschnitt hingegen mehr. Und alle pränataldiagnostischen Maßnahmen dazwischen für Geburten, die nicht ruckzuck gehen, bringen natürlich auch was ein. Was liegt näher, als im Namen der Wirtschaftlichkeit etwas zu pathologisieren, das meist gesund verläuft, aber darüber darf man heute ja kaum mehr ein Wort verlieren, da wird man ganz schnell als grob fahrlässig abgestempelt. Selbstverständlich nehme ich die Notfälle und angekündigten nicht regulären Verläufe davon aus“, betont die Landesvorsitzende.

Horror und Stress
„Unrentabel!“, mit Blick auf die meist ignorierten gravierenden Folgen ein Reizwort für Eichenauer. Und sie nennt die Folgen drastisch beim Namen:
„Wenn zentralisiert wird, müssen Frauen kilometerweit fahren, um mit Hilfe zu entbinden. Es ist ein Horror für die Schwangere, wenn sie weiß, dass sie eine Stunde und mehr fahren muss. ‚Wann fahre ich denn dann los?‘, fragt sie sich. ‚Schaffe ich das denn überhaupt noch, wird es eine Unterwegsgeburt?‘ Das ist Stress pur! Oder sie fragen sich: ‚Wer kann mich denn bei solchen Entfernungen im Krankenhaus besuchen.‘ Kliniken entlassen frisch Entbundene ungern direkt nach der Geburt. ‚Was mache ich so lange mit meinen anderen Kindern?‘. Manche entscheiden sich allein aus diesen Gründen für den planbaren Kaiserschnitt.“

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Alleine gelassen
„Die größere Gefahr aber droht von der gegenteiligen Reaktion: Manche entscheiden sich – einfach weil der Stress zu groß ist – für die Geburt ALLEINE Zuhause, ohne Hebamme, denn sie hat keine mehr bekommen, weil es immer weniger werden!
Es gibt keine Zahlen darüber, aber ich weiß von Gesprächen verzweifelter Schwangerer mit Hebammen (die aufgrund des wachsenden Hebammenmangels völlig überlastet sind und keine weitere Betreuung mehr übernehmen können), die sagen: ‚dann muss ich das halt alleine machen…‘. Und DAS ist nicht NICHT zur Sicherheit von Mutter und Kind! Wenn dann mal was sein sollte, ist kein Notfallprogramm verortet,“ und das macht Jutta Eichenauer hörbar wütend: „Es ist eine Schande, dass eine reiche, satte Gesellschaft wir die unsere sich solche Sünden erlaubt und das mit Lügen bemäntelt!“

„Was Gesundes gehört nicht in ein Krankenhaus“
Und wenn die Schwangere erst mal im Krankenhaus sei, komme der ganze Apparat ins Rollen, so die Hebamme. „Alle schimpfen gegen den Überwachungsstaat – und hier wird er ganz selbstverständlich tagtäglich praktiziert. Bis auf das letzte i-Tüpfelchen mit Notfallausrüstung ausgestattete Häuser müssen ja bespielt werden – für die Kranken ist das gut und richtig, nicht aber für eine Geburt, so lange sie sich als normal ankündigt. Und erfahrene Hebammen und Gynäkologen wissen: die Zeichen für einen pathologischen Verlauf kann man in der Regel gut und früh erkennen, dafür sind sie ausgebildet. Und dieser natürliche Vorgang wird trotzdem pathologisiert. Und dann wird eine vermeintliche Sicherheit durch diagnostische Möglichkeiten und Interventionstechnologie vorgegaukelt. Es wird geguckt, überprüft, überwacht – und letztlich nur Angst gemacht.
Gesunde Frauen werden verunsichert und in eine Interventionskaskade von Untersuchungen und klinischen Maßnahmen manövriert, an deren Ende Geburtstraumata bei Mutter und Kind stehen. Und das bei einem Prozess, der normalerweise ohne Intervention verlaufen wäre.

Nennen wir doch das Kind mal beim Namen: wir produzieren geradezu eine traumatisierte Gesellschaft, voller Angst und Unsicherheit. Die Frage muss doch erlaubt sein: wollen wir das? Eine Auseinandersetzung darüber ist dringend notwendig, die müssen wir doch in einer freien Gesellschaft führen dürfen“, so Jutta Eichenauer. Doch sie will nicht nur zur öffentlichen Debatte ermuntern, sie hat auch mögliche Lösungen im Auge.

Lösungsansatz Geburtshaus
„Der beste Weg wäre, auch kleine Kreißsäle so auszustatten, dass sie auch im Notfall schnell und gut reagieren können – einem Notfall, der sich verdammt selten sich einstellt! Und wenn es schon ohne Zentralisierung nicht geht, dann sollten wir auch in den hochtechnisierten Zentren Räume für die physiologische Geburt schaffen“, so die erfahrene Hebamme. „Und natürlich müssen auch die entstandenen Versorgungslücken gut geschlossen werden.“ Sie ist daher für einen ganz neuen Lösungs-Ansatz: den Ausgleich durch die Unterstützung dezentraler Niederlassungen von Geburtshäusern. „Geburtshäuser sind nachweislich sehr rentabel und wenn Hebammen sie leiten, schneiden sie im Vergleich mit der Klinik sogar besser ab – weniger Geburtsverletzungen, weniger Medikamente, schnellere Heimkehr und und und. Und das sind keine Ammenmärchen, zu diesem Ergebnis kommt ausgerechnet eine Studie des GKV“ – und das erste Mal seit Beginn des Gesprächs kann Jutta Eichenauer wieder herzhaft lachen.

Onlinepetition
Die Bürger im Umkreis von Bühl wehren sich. Eine Onlinepetition ist in vollem Gange: Für den Erhalt der Geburtshilfestation Bühl

Anm. der Redaktion:
Wir haben uns erlaubt, das Beitragsbild von faz.net (triumph-der-apparatemedizin.jpg) sowie das Zwischenbild von österreicher.de (2009) zu entleihen, vielen Dank!