„Entsetzen“, „Fassungslosigkeit“, „geschmacklos“, „spontan übergriffig“, „Datenschutz?“ „Ach du Schande!“, „bekloppt“, „frauenfeindlich“, „zur Realityshow mutiert“, „Voyeurismus“, „Feingefühl?“ – das sind Stichworte, mit denen Leser*innen auf den Artikel „Mit Kaiserschnitt-Live-Vorführung erinnerte die Frauenklinik an die Erfindung des Cardiotokografen“ (Schwäbisches Tagblatt, 8.11.18) und die Veranstaltung reagiert haben, über die der Artikel berichtet. Und damit sind im Grunde alle Fauxpas der Jubiläumsveranstaltung und der Berichterstattung aufgelistet. Im Prinzip müssen wir nicht weiter darauf reagieren, zumal die Flut der Meldungen zeigt, dass die Leser*innen durchaus mündig sind und diese Farce vernünftig einschätzen können.

Beim Hebammenverband Baden-Württemberg sind jedoch viele Meldungen mit gleichem Tenor eingegangen. Ein Artikel mit geradezu historisch viel Zündstoff macht natürlich rasant die Runde. Schließlich betrifft er im Prinzip die gesamte Gesellschaft, denn sowohl der Jubiläumsakt mit seiner unglücklichen Idee der Live-Vorführung eines Kaiserschnitts als auch der Zeitungsbericht dazu stechen in das Wespennest brisanter gesellschaftlicher Themen.

Als tangierter Berufsverband müssen wir also reagieren, zumal es auch ein berufspolitisches Thema berührt.

Professor Diethelm Wallwiener ist ein verdienstvoller Streiter für die Frauengesundheit und geschätzter Kollege am neu geschaffenen Lehrstuhl für Hebammenwissenschaften der Uniklinik Tübingen. Natürlich hatte er nicht beabsichtigt, jemanden vor den Kopf zu stoßen. Mag sein, dass auch die Berichterstattung seine Entscheidung in ein unglückliches Licht rückt.

Dennoch müssen wir als Hebammen auf drei Themen der Veranstaltung eingehen: das Loblied auf die weltweit mögliche WLAN-Überwachung der Schwangeren, das WLAN-Gerät und seine Strahlungsbelastung für den Fötus sowie die öffentliche Zurschaustellung eines Neugeborenen – dank moderner Kommunikationstechnik einer enorm breiten Öffentlichkeit.

Fluch und Segen moderner Medizintechnik
Der Leiter des zum Wintersemester neu eingerichteten Bachelorstudiengangs der Hebammenwissenschaft hätte nach unserer Ansicht gerade bei diesem Thema die Hebammen-Kolleginnen mehr einbeziehen sollen. Sie sind sowohl über die klassische Ausbildung als auch über das neue Studium für die Schwangerenbetreuung und Geburtshilfe der physiologischen Geburt qualifiziert – dem laut WHO mit 70 bis 80 Prozent größten Anteil der Geburten (die WHO erachtet darüber hinaus nur 10-15% der Kaiserschnitte als medizinisch notwendig).
Nein, Hebammen sind keine Gegnerinnen moderner Medizintechnik, wie es ihnen gerne unterstellt wird. Auch Hebammen schätzen lebensrettende technische Errungenschaften, stehen aber der Pathologisierung kritisch gegenüber, die auf ungefilterte Technisierung und Medikalisierung folgen kann. Visionen von der totalen Überwachung mit dem Argument der Sicherheit machen bereits im Vorfeld Angst vor einer Geburt und auch Angst vor Entmündigung, was sie defacto sind. Hier müssen sich Hebammen zu Wort melden: man kann keinen Zuwachs der Geburtenrate erwarten, wenn man Eltern die natürliche Kompetenz völlig abspricht und darüber hinaus Angst schürt.

Achtung: Strahlung!
Den Einsatz von WLAN-Geräten sehen wir besonders kritisch, wenngleich wir auch hier den Nutzen durchaus anerkennen, wo er möglichen Schaden überwiegt. Elektromagnetische Strahlungen sind gesundheitsgefährdend, das ist keine esoterische Hysterie. Die stärksten gesundheitlichen Auswirkungen haben Strahlungsquellen von Geräten, die sich nah am Körper befinden – besonders auf den kindlichen Organismus! Der BUND nennt in seiner Auflistung der zunehmenden Strahlungsquellen heute gängiger Funktechnik explizit die kabellose Geburtsüberwachung von Philips, die beim CTG-Jubiläum als lebensrettend gepriesen wird.(1) Man muss also nicht viel Phantasie entwickeln, um sich die Belastung vorzustellen, die ein solches Gerät auf den Mutterleib, den geschützten Ort des Fötus, bedeutet. In Frankreich ist aus diesem Grund WLAN in Kindergärten und in Vorschulen für Kinder bis drei Jahren gesetzlich verboten.(2)

Eltern über Kinderschutz aufklären
Ein weiterer wichtiger Aspekt, für den wir Hebammen uns verantwortlich fühlen und sind, ist das Kindeswohl. Das muss an oberster Stelle stehen. Als Hebammen hätten wir – trotz Genehmigung der Eltern, den Kaiserschnitt live zu übertragen – eingesprochen; mehr noch: diesen gar nicht erst als Jubiläums-Überraschung geplant. Hier wird die intimste Phase im Leben von Kind und Eltern offenbart. Darüber würden wir die Eltern aufklären und sie nicht dazu anspornen. Verbieten können wir es ihnen natürlich nicht. Um hier mit unserem Beitrag nicht auch noch zur Verbreitung des Bildes mit dem winkenden Neugeborenen beizutragen, haben wir uns erlaubt, die Intimsphäre des Kindes wenigstens auf dem Bild in dem von uns verlinkten PDF mit einem schwarzen Balken zu schützen.

Studium mit technischem Schwerpunkt?
Professor Wallwiener leitet den Hebammenstudiengang in Tübingen derzeit kommissarisch, dessen Start bereits von befremdlichen Entscheidungen begleitet war (wir berichteten). Nach diesem Auftritt machen sich Hebammen Sorgen über den Tenor, die Inhalte und den Stil, mit dem unsere zukünftigen Kolleginnen im Studium konfrontiert werden.
Die Zusammenarbeit zwischen Ärzt*innen und Hebammen hat gerade erst einen guten, partnerschaftlichen Weg eingeschlagen. Vielerorts vertrauen die Vertreter*innen beider Berufsgruppen aufeinander. Die Inszenierung, die an die Charité des 19. Jahrhunderts erinnert, trägt leider nicht dazu bei. Von Professor Wallwiener hätten wir uns mehr kollegiale Einbeziehung in das ureigene Hebammen-Thema gewünscht. Von der Presse hätten wir mehr Neutralität und Fingerspitzengefühl erwartet.

Artikel „Mit Kaiserschnitt-Live-Vorführung erinnerte die Frauenklinik an die Erfindung des Cardiotokografen“, Ulrich Janßen, Schwäbisches Tagblatt, 8.11.18
(Mit Dank für die freundliche Genehmigung zum Abdruck durch den Autor, die Zeitung und den Fotografen).
Um nicht auch noch zur Verbreitung des Bildes mit dem winkenden Neugeborenen beizutragen, haben wir uns erlaubt, die Intimsphäre des Kindes wenigstens auf dem Bild in dem hier verlinkten PDF mit einem schwarzen Balken zu schützen.

Die Schreiberinnen und Schreiber von Leserbriefen sind von der Zeitung geschützt, was wir selbstverständlich respektieren. Wir können jedoch die Meinungen wiedergeben, was wir in diesem Beitrag getan haben. Manch ein Leser*innen-Brief ist jedoch auch online veröffentlicht und somit im Web zugänglich. Wir empfehlen, auf der Website des Schwäbischen Tagblatts (sowie Facebook und Twitter) mit Suchbegriffen wie „CTG“, „Kaiserschnitt-Live-Vorführung“ oder ähnlichen passenden Begriffen, wie den oben genannten, mögliche online-Briefe aufzusuchen. Einen Brief dürfen wir hier mit Genehmigung der Leserin veröffentlichen:

Silke Weyreter: „Schlimmes Licht“, Leser*innen-Brief im Schwäbischen Tagblatt, 15.11.2018
(wir bitten die mangelnde Qualität des gescannten Print-Ausschnitts zu entschuldigen)

BUND-Studie: Mobilfunk im Kinderzimmer – eine kritische Betrachtung. Mit Hinweisen zum verantwortungsvollen Umgang.
Der BUND verweist in seiner Studie auf vielfältige Untersuchungen, die zeigen, dass der kindliche Organismus auf Funkstrahlung empfindlicher reagiert als der des Erwachsenen. Der gesetzliche Schutz von Kindern vor Strahlung ist nach Auffassung des BUND unzureichend und die Eltern werden bisher nicht ausreichend informiert. Die Publikation listet neben elektronischem Kinderspielzeug die zunehmenden Strahlungsquellen von heute gängiger Funktechnik wie WLAN-Router PC, Tablett, Smartphone, Babyphone, Hausfunkelektronik (Heizkörperthermostate, Stromzähler, Rauchwarnmelder, Roboter-Staubsauger u. v. m.), Kfz-Bordelektronik, Funkmasten etc. auf. Darunter wird explizit die kabellose Geburtsüberwachung von Philips genannt.
Die zentrale Forderung des BUND „an alle verantwortlichen Akteure ist es daher, sich stärker und verbindlicher für Vorsorge und Schutz der Kinder im Bereich der Funkanwendungen einzusetzen.“

(1) Quelle: BUND-Studie s. o.: „Mobilfunk im Kinderzimmer – eine kritische Betrachtung“, Seite 19.
(2) Quelle: BUND-Studie s. o.: „Mobilfunk im Kinderzimmer – eine kritische Betrachtung“, Seite 11.