Dürfen wir Greta Thunberg zitieren? Ja, wir dürfen: die junge Frau spricht aus, was so viele denken, sich aber nicht laut zu äußern trauen. Ihre Anklage ist die vehemente Version der berechtigten Vorwürfe über die Untätigkeit der Verantwortlichen in Politik und Gesellschaft, die seit Jahren überall schwelen und jetzt laut werden. Es wurde genug geredet, jetzt muss gehandelt werden.

Das kennen wir auch aus der Gesundheitspolitik. Unser Gesundheitssystem krankt seit Jahren an diesem Missstand. Die gute Nachricht: aus den vielen hochkarätig und fachübergreifend besetzten Gremien, die sich im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums mit möglichen Verbesserungen beschäftigen, entstehen seit 2003 Handlungsleitfäden für verschiedene Themenbereiche der Gesundheit:

Die Gesundheitsziele.

2017 wurde mit „Gesund rund um die Geburt“ das vorläufig letzte von 9 Nationalen Gesundheitszielen veröffentlicht. Bereits im gleichen Jahr haben sich sowohl die Bundesgesundheitsministerkonferenz als auch die Bundesfamilienministerkonferenz eine Umsetzung der Ziele auf ihre Fahnen geschrieben. Viel passiert ist jedoch noch nicht.

Dabei wäre es mit diesen Maßnahmenkatalogen einfach, denn sie wurden als Leitfaden für die Umsetzung entwickelt. Wie in einer Betriebsanleitung liefern sie eine Handlungsregie: was sind die Probleme, wie virulent sind sie, wer ist wofür auf welcher Ebene zuständig für entsprechende Aktivitäten? Die Benannten müssten eigentlich nur noch handeln.

Also können auch wir uns an den vehementen Vorwurf anschließen: wie können die Verantwortlichen es wagen, mit unserer sogenannten Volksgesundheit – und im schlimmsten Fall mit dem Leben selbst – so fahrlässig umzugehen?

Wertvolle Zeit verschlafen
„Seit fast drei Jahren sitzen wir in Baden-Württemberg am Runden Tisch Geburtshilfe in Sachen Gesundheit rund um die Geburt. Wozu die ganze Arbeit im Vorfeld, wenn es doch noch so lange dauert?“, fragt sich Jutta Eichenauer, 1. Vorsitzende des Hebammenverbands Baden-Württemberg. „Wo hakt es eigentlich? Ich habe den Eindruck, dass es schon zur Routine wurde, dass Maßnahmen erarbeitet und verteilt werden. Weil es aber mittlerweile einen Handlungsstau gibt, türmen sich die Informationen an die Zuständigen – und landen dann in der großen Ablage P. Diese traurige Vermutung hat sich mir beim letzten Treffen im Gesundheitsausschuss mit den Gesundheitspolitischen Sprechern bestätigt, dem wir einmal im Jahr als Gast beiwohnen. Hier können wir die Chance auf Austausch und manchmal auch auf unmittelbare Einflussnahme wahrnehmen. Im Gespräch über die Gesundheitsziele habe ich bei dieser Gelegenheit feststellen müssen, dass die meisten politischen Vertreter begeistertes Interesse daran zeigten, aber die Maßnahmenkataloge eben nicht kannten – nach über zwei Jahren im Falle der Geburtsthemen, nach über 16 Jahren seit Beginn der Publikationen! Unsere Exemplare und die PDF-Links haben sie dankend entgegengenommen“, so die Hebammen-Vertreterin, die das als gutes Zeichen sieht und hofft, dass eine Kehrtwende – wie in so vielen gesellschaftlichen Bereichen nötig – auch hier einsetzen wird.

Die drei lebensphasenbezogenen Gesundheitsziele

•  „Gesund rund um die Geburt“
•  „Gesund aufwachsen“
•  „Gesund älter werden“

werden derzeit bzw. in Kürze als einzige evaluiert.