Mit einem Bekenntnis zur engen Zusammenarbeit ging am Samstag der interdisziplinäre Fachkongress „WIR – von Anfang an“ zu Ende (Ankündigung). Zwei Tage informierten und diskutierten Frauen-, Kinder- und Jugendärzt*innen, Hebammen und Eltern gemeinsam, wie Geburtshilfe sein soll: ein vertrauensvolles und respektvolles Miteinander – ein WIR. Jutta Eichenauer, 1. Vorsitzende des Hebammenverbands Baden-Württemberg skizziert ihren Eindruck von der Veranstaltung.

„Drei Ansätze waren für mich hervorstechend, wobei ich betonen muss, dass ich mit einem spontanen Rückblick weder der geballten Kompetenz der Referenten wirklich gerecht werden kann, noch der Tiefe ihrer Beiträge und der Gespräche sowie der Vielfalt der Ansätze. Es war überwältigend.

Geburt als gesellschaftlicher Wegweiser
Den tiefsten Eindruck hat bei mir Professor Maio hinterlassen, der den ethischen Aspekt von Geburt beleuchtete. Man hätte keine Stecknadel fallen hören, so gebannt haben wir ihm zugehört. Sein Vortrag mündete in einer weitreichenden Aussage: Gute Geburt ist ein Beitrag zur Humanität. Die gesellschaftliche Tragweite unseres Verhaltens war uns Akteuren rund um die Geburt glaube ich nicht wirklich bewusst.

Die Vorträge, Gespräche und Diskussionen hatten am Ende die Erkenntnis zur Folge, dass man es nicht bei dieser einen Veranstaltung bewenden lassen und das WIR-Modell nicht nur auf Baden-Württemberg beschränkt bleiben darf, sondern in allen Ländern, also auf Bundesebene fortgeführt werden soll.

Geburts-Hilfe
Hier fiel das knackige Stichwort „Geburtshilfe-Gipfel“ von Professor Scharl. Wunderbar, weil er spontan Geburts-Hilfe, nicht Geburts-Medizin gesagt hat – ein Indiz dafür, wie tief wir eingedrungen sind, wie einprägsam unser Austausch war, denn in dieser spontanen Wortwahl konzentriert sich unserer Ziel: den Blick auf den gesunden Vorgang schärfen und Selbstvertrauen stärken, helfen und nicht Angst machen.

Geburt ist in erster Linie ein physiologischer Vorgang, das müssen wir Helfer*innen genauso wieder lernen, wie die Gebärenden selbst. Wir müssen den Frauen das Selbstvertrauen vermitteln, dass sie für diese Aufgabe ausgestattet sind. Das heißt, wir brauchen erst einmal keine Medizin, nur die Hilfe, wie sie seit Menschengedenken der Kreisenden geboten wird. Wir sind aber froh, dass wir heute auch auf die moderne Medizin zurückgreifen können, dann (und eben nur dann), wenn sie wirklich nötig wird.
Über Jahrzehnte hat sich die Geburts-Hilfe zur Geburts-Medizin entwickelt. Paradox heute: Aus der Überversorgung entsteht eine Fehlversorgung, die in einer Unterversorgung mündet – resultierend aus der Überversorgung. Ich finde es beruhigend, dass wir uns da letztlich alle einig waren. Eine Herkulesaufgabe wird sein, hier einen Paradigmenwechsel im Alltag herbeizuführen und dem theoretischen Bekenntnis die praktische Umsetzung folgen zu lassen.

Respektvolle Sprache
Last but not least kann man den Eindruck vom Kongress vielleicht mit einer erstaunlichen Feststellung auf den Punkt bringen: bemerkenswert war unser Sprachgebrauch. Wir haben alle nicht nur auf ein sensibles Vokabular in der Sache geachtet, sondern auch auf einen guten Ton untereinander, vor allem frei von Anschuldigungen, die ja mittlerweile viel in den Medien, besonders den einflussreichen Social-Media-Kanälen kursieren. Das ist für mich persönlich schon einmal der erste Erfolg der Veranstaltung.“

Jutta Eichenauer

* Festvortrag: Von Anfang an zu zweit – Zur Bedeutung von Schwangerschaft und Geburt für das Selbstverständnis des Menschen.
Prof. Dr. med. Giovanni Maio, Medizinethiker, Direktor des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg