Immer mehr Kliniken schließen – und damit auch immer mehr Geburtshilfestationen. In den letzten 20 Jahren hat sich die Zahl der Geburtshilfestationen in Deutschland halbiert. Auch in Baden-Württemberg schließen mehr und mehr geburtshilfliche Abteilungen. Zuletzt war es 2021 die Geburtsabteilung in Weingarten, in der bis dahin 700 Geburten pro Jahr betreut wurden. Die drohende Schließung in Wangen/Allgäu (800 Geburten/Jahr) ist zwar vorerst vom Tisch, jedoch unter dem Vorbehalt, dass Personalsituation und Geburtenrate in den nächsten zwei Jahren stabil bleiben und die Defizite ausgeglichen werden können, die sich aus der zu geringen Fallpauschale für Geburten zwangsläufig ergeben.
„Da muss man sich doch fragen, wo sollen die Frauen jetzt hin? Und wie sieht das in den übrigen Kreißsälen aus, die dann diese Geburten zusätzlich stemmen müssen – räumlich wie personell? Konnten sie sich darauf einstellen? Und was passiert mit den Hebammen, die durch die Schließung beruflich bedroht sind? Und wie geht es denen, die dadurch einer weiteren Mehrbelastung ausgesetzt werden?“, fragt Jutta Eichenauer, 1. Vorsitzende des Hebammenverbands Baden-Württemberg. Verärgert ist sie darüber, dass in der „Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung“, die Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach berufen hat, zwar Expert*innen aus Pflege und Medizin sitzen, Hebammen aber nicht mit einbezogen sind. „Wieder einmal werden wir Hebammen einfach übergangen“, so Eichenauer.
Tarifvertrag – neuerliches Lippenbekenntnis?
Da gerade diese Berufsgruppe so selten beachtet wird, widmete ihr das ZDF-Verbrauchermagazin WISO seinen bemerkenswerten Beitrag anlässlich des Tags der Arbeit (WISO, 2. Mai 2022):
Seit Jahren versuchen Hebammen, auf die existentiellen Probleme aufmerksam zu machen, die ihre Arbeit und somit das Leben von Mutter und Kind bedrohen. „Bevor Hebammen streiken, müssen die Bedingungen wirklich so schlecht sein, dass es gar nicht mehr geht. Und schlimmer“, betont Andrea Ramsell, Beirätin für den Angestelltenbereich im Präsidium des Deutschen Hebammenverbands e. V., im Beitrag. In Berlin war es schließlich so weit, im Oktober 2021 wurde gestreikt. Danach sah es zunächst so aus, als ob der Streik erfolgreich gewesen wäre, denn ein Tarifvertrag wurde ausgehandelt, der am 1.1.22 in Kraft hätte treten sollen. Geändert aber habe sich nichts – so der Stand im Mai 2022.
Lasst uns nicht im Regen stehen
In der Öffentlichkeit wird die prekäre Situation von Hebammen und Geburtsstationen viel mehr beachtet. In den sozialen Medien zeigen Hashtags wie
#lasstunsnichtimregenstehen
#unersetzbar
#hebammen
#hebammensindunersetzbar
die Virulenz der Debatte, die auch viel prominente Unterstützung findet. Nur die Politik schweigt weitestgehend.
„Hebammen sind froh über jede Unterstützung. Aber selbst beispielhaft großangelegte Online-Petitionen, wie die Forderung einer wohnortnahen Geburtshilfe in Niedersachsen, wirken sich nicht auf die Pläne zur Reform des niedersächsischen Krankenhausgesetzes aus – in Baden-Württemberg steht nicht einmal eine solche an“, beklagt Eichenauer und schließt sich dem Kernsatz von Heiner Scheffold an, Chef der Baden-Württembergischen Krankenhausgesellschaft (BWKG), der jüngst in einem Interview zitiert wurde:
„Wenn man um Rettungsschirme betteln muss, ist das unwürdig.“ (Schwäbische Zeitung, 19.5.22)