Schön und geschönt
Großartig. 2015 waren es nur 21 Prozent, die Frauen weniger verdienten als ihre männlichen Kollegen. Gegenüber dem Vorjahr ist das eine rasante Verbesserung von einem Prozent! Wie konnte das passieren? Was ist in unserer Gesellschaft schief gelaufen, dass eine uralte Tradition plötzlich brüchig wird?
Geschönt
Die Einführung des Mindestlohns! Von dem profitieren ja bekanntlich vor allem die Frauen, denn sie haben überwiegend eben jene vermeintlich kleinen und lächerlichen Jobs, die schlecht bezahlt werden dürfen. Das hat jetzt die Statistik zum Equal Pay Day (EPD) geschönt.
Schön
Ah! Das Schöne und die Frauen, das gehört ja zusammen. Daher sind nicht nur die Pflegeberufe ihr Domäne, sondern auch solche, die für die schönen Seiten des Lebens zuständig sind: Hotel- und Gaststätte, Friseur und Kosmetik, Sauberkeit und Hygiene. Und obwohl Schönheit so hoch gehandelt wird, sieht man beim Friseur, wie wenig sie wert ist. Aber nur, wenn sich die Frisörin darum kümmert. Ihr männlicher Kollege entwickelt sich eher zum Star, den andere Stars teuer bezahlen.
Das Allerschönste
Zum Schönen gehören unbestreitbar auch Babys. Ja, da sind sich alle einig: sie sind das Schönste schlechthin. Ob das nun der Hormonlage geschuldet ist, wie viele behaupten, oder perfekten, ansprechenden Proportionen, die ja seit Menschengedenken als Erklärung bemüht werden – egal: auch hier wird miserabel bezahlt: in Person der Hebamme!
Hebammen – der weiße Fleck der Statistik
Dabei kann man das noch nicht mal in die EPD-Statistik aufnehmen, die ja nur Vergleichbares vergleicht. Und Hebamme werden bekanntlich nur wenige Männer. Wen wundert‘s: 24-Stunden-Tage, 365 Tage im Jahr, Urlaube Utopie, nicht planbare Schwerstarbeit, hervorragende Ausbildung, umfassende Fortbildungspflicht, große Verantwortung, hohe Berufshaftpflicht und lausige Entlohnung – ob Freiberuf oder Klinikanstellung.
Auch der Einfluss, den die Einführung des Mindestlohns auf das diesjährige EPD-Ergebnis hat, bleibt davon unberührt, denn hier fallen Hebammen ja auch nicht darunter. Von so einer politischen Unterstützung können Hebammen nur träumen – ebenso wie vom Mindestlohn, denn rechnet man alles zusammen, bleibt ihnen weniger als 8,50 Euro und damit weit weniger als die durchschnittlichen 16,20 Euro*.
Zynisch
Obwohl die Hebammen gebetsmühlenartig immer wieder darauf hinweisen und längst glückliche Eltern für die Belange der Hebammen kämpfen, es ändert sich nichts. Im Gegenteil: der Nachwuchs rennt ihnen davon. Verständlich.
Angesichts dessen klingt das diesjährige EPD-Motto geradezu zynisch: „Berufe mit Zukunft“.
* Die Zahlen:
2015 lag der durchschnittliche Bruttostundenverdienst von Frauen bei 16,20 Euro, der von Männern bei 20,59 Euro. Die Berechnungsgrundlage sind vergleichbare Tätigkeiten mit vergleichbarer Qualifikation. Um aber auch für die Männer eine Lanze zu brechen: angesichts der hervorragenden Wirtschaftslage in Deutschland sind auch 20,59 Euro nicht zu rechtfertigen.