Empört, ja fassungslos müssen wir eine Entwicklung beobachten, die mehr als nur einen üblen Beigeschmack hat. Mit den bereits bewilligten 5 Millionen Euro ist die von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn geplante Studie über die seelischen Folgen von Schwangerschaftsabbrüchen die teuerste seines Ministeriums seit Jahren. Was für ein Signal! Welchen Erkenntnisgewinn verspricht sich der Minister davon? Wem soll so eine Studie dienen? Die offenen Fragen lassen viel Spielraum für Spekulationen.
Um eine (wenn auch leider nur marginale) Reform des Paragrafen 219a (wir berichteten) ist die Regierung nicht umhingekommen. Aber statt über die längst fällige rechtliche Unterscheidung zwischen Werbung und Information zu sprechen, wird nun das Thema Abtreibung selbst wieder in den Fokus gerückt. Unwillkürlich bekommt man den Eindruck, dass bewusst eine neue Richtung eingeschlagen und damit die Möglichkeit zu einer noch schärferen Gangart gegeben wird. Wie viele andere Institutionen und Verbände haben auch Landesfrauenrat und pro familia Baden-Württemberg dazu sehr deutlich Position bezogen (wir berichteten).
Die Frau auf dem Prüfstand
Wieder einmal sind es die Frauen, deren Geschlechterrolle, deren Verhaltens- und Entscheidungsspielraum mit so einer Studie auf den Prüfstand gestellt wird – und sind wir doch ehrlich: meist organisiert, durchgeführt und bewertet von Männern. Ein Ärgernis, das wütend macht und gerne geäußerte Verbesserungswünsche anlässlich eines Weltfrauentags erneut als Lippenbekenntnisse entlarvt. Der Weltfrauentag ist eine Farce. Aber das kennen wir ja schon.
Folgen von Missbrauch und Vergewaltigung
Nun müssen wir Frauen also wieder Moraldebatten und erhobene Zeigefinger über uns ergehen lassen. Zu einem Thema, über das nach meiner Auffassung eigentlich nur Frauen sprechen dürften. Statt dergleichen Anprangerung und statt solcher Studien über die seelischen Folgen eines Schwangerschaftsabbruchs benötigten wir vielmehr eine Erhebung über die Folgen von Missbrauch und Vergewaltigung. Zu dieser hohen Zahl einschließlich Dunkelziffer äußert man sich allseits mit Erschrecken und zeigt Betroffenheit. Doch über mögliche Folgen schweigt man lieber, denn hier wird es moralisch unbequem. Aber eines ist klar: selbst wenn nur ein Bruchteil der Vergewaltigungen in ungewollten Schwangerschaften mündet, so ist auch diese Zahl mutmaßlich sehr hoch! So eine Erhebung wäre hilfreich, um die Debatte über Schwangerschaftsabbrüche auf den Boden der Tatsachen zu führen!
Ungewollt schwanger – was nun?
Oder wie stellt sich Herr Spahn das vor? Ich erlaube mir, drastisch zu werden, denn bekanntlich findet Missbrauch überwiegend innerhalb geschützter Systeme wie Familie statt, gleich gefolgt von Schule, kirchliche Betreuungseinrichtung, Verein etc.:
Ein dreizehnjähriges Mädchen, das von ihrem Onkel vergewaltigt wurde und nun schwanger ist, aber weder den Mut hat, zu fragen, oder im schlimmsten Fall noch nicht einmal rechtzeitig merkt, was mit ihr los ist, soll nun – ausgestattet mit der seelischen Stärke einer selbstbewussten und materiell gut gestellten Frau – ein Kind zur Welt bringen und dieses groß ziehen? Ist das im Sinne des Kindswohls? Das Beispiel lässt sich mühelos fortsetzen: eine Frau in prekären oder armen Verhältnissen; eine Frau, deren Mann das Kind nicht will; eine, die alleine steht, weil der Mann sie verlassen hat; Flüchtlingsfrauen, die Massenvergewaltigungen über sich ergehen lassen mussten – und und und.
Wir Hebammen sehen viel Leid in der Realität. Herr Spahn sitzt in seinem Ministerium weit ab von der Realität, so behaupte ich. Und da hilft auch keine Studie, und sei sie noch so teuer angesetzt.
Klar ist, dass diese Mädchen und Frauen einen niederschwelligen Zugang zu Informationen brauchen – und darauf auch ein Recht haben! Alles andere ist Entmündigung! Man sollte ihnen nicht Hürden aufstellen, sondern im Gegenteil noch viel umfassender, offener und vor allem moralisch wertfrei über die Möglichkeiten von Abbrüchen informieren und Begleitung anbieten. Denn ein Schwangerschaftsabbruch ist keine Sache, für die sich Frauen eben mal schnell entscheiden, wie das die Debatte darum erscheinen lässt.
Die Not beginnt VOR den Folgen
Keine Frau geht leichtfertig mit einem Schwangerschaftsabbruch um, auch wenn es wie in allen anderen Bereichen unseres Lebens Ausnahmen gibt (wo man sie auch als Bestandteil des Menschlichen akzeptiert). Allein die Hormonlage schon zu Beginn der Schwangerschaft stürzt die Frau in ein emotionales Karussell, in ein Hoch und Tief, in ein Gefühlschaos zwischen Freude über das Leben und Angst vor dem, was kommt. Meist überwiegt die Freude, die Natur hat das eigens für den Erhalt der Art so eingerichtet.
Wenn die Umstände aber so sind, dass die Angst (vor Bewältigung) überwiegt, dann ist das eine Notsituation! Die Frauen sind DANN in Not! Nicht erst nach einem möglichen Abbruch. Hier gehört den Frauen geholfen! Sie gehören nicht moralisch hinterfragt! Ob Herr Span oder überhaupt ein Mann das in seiner ganzen Tragweite nachvollziehen kann? Ich behaupte nicht – auch wenn ich von vielen Fällen weiß, in denen auch die Väter unter den Folgen von Abtreibung leiden. Aber davon spricht ja niemand. Es wird nur wieder die Frau hinterfragt.
Armut, Kinderarmmut, Rentenarmut
Immer wieder kocht die Debatte um die Armut in unserer so reichen Industrienation hoch. Gerne zum Equal Pay Day, denn die Erkenntnisse sind nicht neu: es sind vor allem die alleinerziehenden Frauen und die Rentnerinnen von Armut betroffen – ach! Und es wird in allen politischen Lagern darüber gegrübelt, wie hier Abhilfe für die armen Betroffenen geschaffen werden kann. Diese Doppelmoral macht mich unsäglich wütend. Finanzielle Not ist zwar selten Grund für Abtreibung. Aber wenn sie es ist und die damit verbundene Angst, in diesem kinderfeindlichen und frauenbenachteiligenden Deutschland den Alltag als Alleinerziehende bewältigen zu müssen, dann darf sich kein Mensch, kein finanziell unabhängiger Mensch und schon gar kein Mann erdreisten, darüber zu entscheiden oder auch nur den moralischen Zeigefinger zu heben. Denn mit den Folgen werden die Frauen alleine gelassen – nachdem man sie zuvor so sehr in den Fokus gerückt hat.
Steuergelder nicht für Stigmatisierung einsetzen
All diese politische Betroffenheit über Präkariat, Rentenarmut, Kinderarmut; über wegen Überforderung vernachlässigte Kinder; über Missmut und Alkoholsucht Jugendlicher; über fehlende Berufsperspektiven junger Menschen … all das ist blanker Hohn mit Blick auf die Stimmung, die der Plan dieser Studie verbreitet. Es gibt so viele Bereiche, wo die Millionen – aus Steuermitteln! – besser untergebracht wären, und sogar passend zum Ressort: zur Finanzierung der von Jens Spahn geplanten Aufwertung des Pflegeberufs, die er nicht liefern kann. Stattdessen gibt er Millionen aus für eine Studie, deren Ergebnisse durch andere Studien hinlänglich bekannt und erforscht sind.
Eine solche neuerliche Studie lindert nicht die Not der Frauen, sie stigmatisiert sie.
Doppelmoral Auslese
Auf der anderen Seite werden pränatale Untersuchungsmethoden forciert, wo es nur geht. Der Leib der Schwangeren wird zum Kino, das Naturrecht des Fötus auf Intimsphäre wird ohne Bedenken ignoriert. Die Schwangerschaft soll nach dem Willen von Staat und Krankenkassen genau durchleuchtet werden, ob sie sich gar am Ende als nicht erhaltenswert herausstellt, weil ein Kind zu erwarten ist, das von der Norm abweicht und daher mehr Mühe und Kosten benötigt. Dann ist Abtreibung akzeptabel?
Wenn sich der Test ohne Altersbegrenzung durchsetzt, ohne wirkliche oder nötige Indikation, dann sind wir bei der „Schwangerschaft auf Probe“ angelangt. Und mit dem Wissen, das sich aus all dieser Überwachung (die eine hohe Belastung für Mutter und Kind ist) ergibt, steuert man die Eltern in ein unvorstellbar moralisches Dilemma widerstreitender Gefühle, in einen ganz schweren Prozess.
Und auf der anderen Seite heizt Jens Spahn die Debatte um den Schwangerschaftsabbruch wieder an. Das nenne ich beschämend für einen Regierungsverantwortlichen einer vermeintlich modernen Demokratie.
Jutta Eichenauer