Stellungnahme von Jutta Eichenauer zum Interview Schwäbische Zeitung 2.11.2016
Eigentlich: kleines Wort – große Tragweite. Das hat das Interview gezeigt, das ich der Schwäbischen Zeitung (2.11.2016) gegeben habe. Es war eine Ergänzung zum dort veröffentlichten Artikel über den Hebammenmangel und hat diesen gut recherchierten Bericht aufgrund der Überschrift leider in den Hintergrund gedrängt – und für Unmut gesorgt.
An mich persönlich hat es zwei Rückmeldungen von Kolleginnen gegeben, die befremdet waren. Vermutlich laufen viele Gespräche darüber ab und ich möchte alle unbedingt dazu einladen, mich direkt anzusprechen.
Vorab: Niemandem wollte ich vor den Kopf stoßen! Dennoch ist genau das passiert. Weder wollte ich die klinisch arbeitenden Hebammen gegen die Freiberuflerinnen ausspielen, wie das vielleicht manche so gedeutet haben, die mich nicht kennen. Noch wollte ich Ärzte oder Kliniken für die Schieflage verantwortlich machen, die selbst von den Problemen betroffen sind und damit zu kämpfen haben. Ich weiß, dass die Klinik- und Kreißsaal-Teams hart arbeiten, um die Notlage abzufedern, und die Frauen vor möglichen negativen Auswirklungen zu schützen. Ich weiß aber auch, dass viele von ihnen genau deswegen erschöpft und ausgebrannt sind.
Wie soll man diese heikle Angelegenheit in zwei Interview-Sätzen abhandeln, ohne einerseits den Frauen Panik zu machen, die sich für die Klinik-Entbindung entschieden haben, ohne den Eindruck zu erwecken, dass man die am Limit arbeitenden Teams kritisieren wollte, und dabei dennoch das Problem zu benennen, das nicht von der Hand zu weisen ist (und das ist meine Aufgabe als Vorsitzende des Berufsverbandes).
Ein kleines Interview kann nur anreißen
Zurück zum Interview: Ein Interview dieser Größenordnung kann nur einen Teil dessen abbilden, was in einem einstündigen Gespräch geäußert wird. Der Wortlaut jedoch ist von der Redakteurin korrekt und mit meinem Einverständnis widergegeben. Die Rückmeldungen zeigen mir aber, dass ich mich nicht so ausdrücken konnte, wie ich es gemeint habe. Dazu möchte ich mich hier ergänzend äußern und entschuldigen. Das wird lang, weil es eben nur ausführlich geht, wie meine Kurzfassung im Interview gezeigt hat. Aber wer wirklich ein vorurteilsfreies Interesse daran hat, wird sich die Zeit dazu nehmen.
Die Überschrift macht voreingenommen
Sehr unglücklich ist daher der Titel des Interviews gewesen, der die meisten Leser sofort gegen meine Aussagen eingenommen hat. Hier fehlte das „eigentlich“, das im Text selber noch kommt, aber da ist dann schon alles zu spät, da sind die Gedanken der Leser bereits auf etwas fixiert, das ich so nicht sagen wollte.
Das „eigentlich“ bedeutet eben, dass ich grundsätzlich der Meinung bin, dass eine Geburt ein natürlicher und gesunder Vorgang ist und daher nicht in eine Klinik gehört, die für Kranke vorbehalten ist. Dazu stehe ich auch nach wie vor. Und das “eigentlich” signalisiert das “aber”.
Fast alle Frauen entscheiden sich für die Klinikgeburt
Selbstverständlich ist mir bewusst, dass Schwangerschaften außerhalb der Norm verlaufen können, wenn auch (und da gibt mir die Statistik Recht) nur in wenigen Fällen – aber auch hier muss ich betonen, dass ich das keineswegs bagatellisieren möchte! Diejenigen, die mich kennen, wissen das. Natürlich gehören auch diese Fälle berücksichtigt. Ich bin froh um die Möglichkeiten der modernen Medizintechnologie – aber sie sind auch Segen und Fluch zugleich, denn aus meiner Sicht werden sie viel zu oft bemüht. Eine Geburt mit komplettem Klinik-Apparat ist teuer. Wenn sie sein muss, gibt es keine Einwände!
Aber in Deutschland entscheiden sich fast alle Frauen auf eigenen Wunsch für die Geburt in der Klinik. Das respektiere ich, es ist ihre Entscheidung und ich will ihnen das Recht dazu keineswegs absprechen. Auch mache ich keine Schwarz-weiß-Malerei im Sinne von „nur natürliche Geburt und Hebammen sind gut, Klinik und Ärzte sind schlecht“. Vielmehr möchte ich, dass die Frauen dort, in der Klinik, auch die Möglichkeit zum selbständigen Gebären mit der individuell benötigten Zeit erhalten – und das ist die Eins-zu-eins-Betreuung. Die aber ist wegen der Vielzahl der Klinikgeburten kaum mehr möglich, nur wenige, vor allem kleinere Häuser, können das bieten. Für die bei weitem meisten Geburten ist die Klinik-Betreuung eine Überversorgung, oft verbunden mit dem Risiko unnötiger Interventionen. Würde man hier reduzieren können, hätte man ausreichend Kapazitäten für diejenigen, die medizinische Interventionen wirklich brauchen, die Risiko-Geburten.
Natürlich betonen alle, dass sie alle Frauen gleich gut versorgen und das ist sicher auch ihre Absicht. Aber das ist nicht möglich, selbst wenn sich alle noch so anstrengen. Hinter vorgehaltener Hand höre ich das auch. Sie sind zu Kompensationen gezwungen – und die geht immer zu Lasten von irgendwem: dem Team, den Frauen, den Neugeborenen.
Im Interview wollte ich darauf hinweisen, dass die Bezahlung der Klinikgeburten dringend neu betrachtet werden muss und eine Reduzierung der (physiologisch nicht indizierten) Klinikgeburten* auch dazu beitragen kann, das enge Klinikbudget und vor allem das Personal zu entlasten! Die Eins-zu-eins-Betreuung der Frauen, egal wo sie entbinden möchte, in der Klinik oder zuhause, könnte so finanzierbar werden. Mit Blick auf die wirtschaftlichen Probleme ist das aus meiner Sicht ein mehr als vertretbarer Ansatzpunkt.
* Ungeachtet der ökonomischen Betrachtung würde ich hierzu gerne ergänzen, dass Frauen, die sich für eine Geburt außerhalb des Krankenhauses entscheiden, weder selbst lebensmüde sind, noch sich der fahrlässigen Tötung schuldig machen. Manche Reaktionen von Seiten der Gegner dieser Wahl klingen manchmal schon fast so.
Rückmeldung einer Kollegin
Wie oben erwähnt, haben sich zwei Kolleginnen umgehend bei mir gemeldet und ihre Bedenken, ihre Enttäuschung und ihre Kritik mir direkt gegenüber geäußert. Dafür danke ich ihnen. Eine von ihnen ist Katja Rommelspacher, Vorsitzende der Hebammenkreisgruppe Tuttlingen. Sie hat sich dazu bereit erklärt, dass ich mit Hilfe ihrer Äußerungen meine Stellung deutlich machen kann, auch öffentlich. Auch dafür vielen Dank!
Katja Rommelspacher betont vor allem, „dass Geburten zwar überwiegend keine medizinischen Maßnahmen erforderten, aber eben 97 Prozent der werdenden Eltern sich für die Klinik entscheiden, die natürlich nicht immer unter idealen Bedingungen stattfindet, vor allem auch wegen der extrem angespannten Personalsituation. Aber Tatsache ist auch, dass sie in den Kliniken fast immer auf ein Team aus Hebammen und Ärzten treffen, die sie engagiert und einfühlsam durch die Geburt begleiten.“ Sie hat mich darauf Aufmerksam gemacht, dass meine Äußerungen sie diskreditieren. So wollte ich nie verstanden werden, wie oben ausgeführt.
Aufgabe eines Berufsverbands
Durch eine weitere Aussage hat Katja Rommelspacher mir die Möglichkeit eröffnet, meinen Hintergrund darzulegen, der ebenfalls etwas zur Entstehung des Interviews erklären kann.
Ein Herzstück ihrer Arbeit auf Kreisebene sei „die Zusammenarbeit zwischen klinisch arbeitenden und freiberuflichen Hebammen und die Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen. Diese sehe ich durch solche Aussagen leider gestört.“ Ja, hier muss ich ihr Recht geben. Wie bereits betont: das war nicht meine Absicht.
Meine Aufgabe als Landesverbandsvorsitzende unterscheidet sich jedoch sehr von der in den Kreisen. Sie ist bei weitem unpersönlicher. Auch wenn besagte Zusammenarbeit immer auch meine Zielsetzung ist (siehe Runder Tisch, der im Artikel erwähnt wird, allerdings in etwas anderem Zusammenhang) so liegt ein großer Teil meiner Aufgabe als Berufsverbandsvertreterin vor allem darin, gegen den Missstand in unserem Beruf anzukämpfen. Und dass es den gibt (Tendenz steigend, bis hin zur Gefahr, dass der Beruf völlig ausstirbt), können wir nicht leugnen. Dabei spielen wie immer in erster Linie die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen eine Rolle. Auch das spreche ich natürlich im Interview aus. In der Kürze bekommt es leider einen üblen Beigeschmack, aber den hat es ja auch tatsächlich!
Wirtschaftliche Not führen zu Klinikschließungen
Nichts von dem, was ich sage, ist wirklich falsch, genau das sind die Klagen, die von jungen Müttern und Kolleginnen (freiberuflich wie angestellt) an mich herangetragen werden: betriebswirtschaftliche Gründe führen allerorten zur findigen Suche nach Einnahmequellen (das können wir nicht ignorieren, das ist hinlänglich auch generell für Kliniken bekannt und steht allgemein heftig in der Kritik) oder Maßnahmen wie Schließungen, denn längst sind Kliniken ja zu Unternehmen geworden, mit den gleichen betriebswirtschaftlichen Anforderungen – egal, wie man dazu steht.
Das war das Thema des Artikels, der leider wegen des reißerischen Interview-Titels viel zu sehr in den Hintergrund getreten ist und vielleicht überlesen wurde: Dass die Versorgung der Schwangeren in Gefahr ist. Die Nachweise dafür sind hinlänglich gegeben. Der Artikel schildert das ja völlig korrekt. Im Gespräch mit der Journalistin hat sich das mehr und mehr verwässert. Es ist für Außenstehende wirklich schwer, die vielen Facetten der Probleme und deren Dominoeffekt richtig einzuschätzen.
Und das war Ausgangspunkt des Interviews, zu dessen Zustandekommen ich mich an dieser Stelle äußern möchte, indem ich Ihnen einen etwas tieferen und persönlicheren Einblick in meine tägliche Arbeit gewähre:
Klagen von Hebammen, Kliniken und Müttern
Ich bin tief drin in der Problematik, die mich aktuell vorwiegend in Anspruch nimmt: ich bekomme täglich Anrufe von verzweifelten Müttern – die alle Hebammenkolleginnen natürlich auch bekommen – und zusätzlich Anrufe von verzweifelten Hebammen, von Klinikhebammen (ja: von vielen! Und ja: nicht von allen), auch von Klinikleitungen, die mir in den letzten Wochen ihre Not geschildert und ihr Leid geklagt hatten (und das auch weiter tun) – vertraulich, weil sie Angst vor Repressalien haben! Die Gesamtproblematik hat Ausmaße angenommen, die längst nicht mehr nur die Hebammen betreffen, sondern unsere Gesellschaft insgesamt. Ob es um die gesetzlich verankerten Rechte der Frauen geht, oder um das Bangen am Arbeitsplatz: das sind gesellschaftspolitische Entwicklungen, die weit über die unmittelbaren Hürden für unsere Berufsausübung gehen! Dazu muss ich mich – ja dazu müsste sich eigentlich jeder äußern.
Zudem bekomme ich zahllose Meldungen traumatisierter Frauen, Tendenz steigend. Oder auch Links auf Plattformen für Selbsthilfegruppen von Frauen, die – ich muss das sagen dürfen! – überwiegend Klinikerlebnisse verarbeiten müssen (dahinter stecken eben oft die wirtschaftlich beengten Bedingungen). Eine für mich erschreckende Vielzahl (Dunkelziffer?)! Das Internet ist voll davon, die Möglichkeit, anonym zu bleiben, ist hier wohl sehr hilfreich. Ich erfinde nichts, ich möchte nichts künstlich dramatisieren, aber auch nichts bagatellisieren, weder als Hebamme, noch als Frau und Mutter einer Tochter.
In diesem Strudel erhalte ich die Möglichkeit, mich zum Hebammenmangel zu äußern. Ich denke, jeder kann verstehen, dass ich sie wohl als Ventil genutzt habe. Unter diesem wirklich bedrückenden Eindruck waren meine Antworten entstanden und es ist mir beim Lesen des fertigen Textes nicht gelungen, meine Aussagen mit genügend Abstand zu betrachten und zu erkennen, wie sie bei Leserinnen und Lesern ankommen, die nicht mit der Problematik vertraut sind.
Gratwanderung
Meine Aufgabe in öffentlichen Statements (wie solchen Interviews) ist immer eine Gradwanderung! Ich muss Aufklären, das ist meine Pflicht und Schuldigkeit gegenüber den Kolleginnen und den Frauen. Ich will und darf den Frauen, die in der Klinik gebären möchten, aber nicht Angst machen, für sie gibt es ja keine Alternative. Ich muss die Tatsachen beim Namen nennen, darf aber nicht anprangern, vor allem nicht die Menschen (Klinikhebammen, Pflegerinnen, Klinikärzte und freiberufliche Hebammen), die ihr Bestes geben, um mit den Problemen selbst klarzukommen und mehr noch: die Frauen davor zu schützen.
Andererseits: Wenn wir nie das Kind beim Namen nennen, werden die Probleme nicht ernst genommen und nichts wird sich ändern. Und die Lage prekär, das wissen wir alle!
All denen, die meine langen Ausführungen bis zu Ende gelesen haben, danke ich. Auch mir ist es ein Herzensanliegen, wie meine geschätzte Kollegin Katja Rommelspacher es so schön ausdrückt, dass wir alle, die am Geschehen rund um die Geburt beteiligt sind, sich freundlich und auf Augenhöhe begegnen. Nur so können wir gemeinsam eine Verbesserung erreichen.
Jutta Eichenauer
Offener Ärztebrief gegen die wirtschaftlich optimierte Geburt
Artikel und Interview in der Schwäbischen Zeitung vom 2.11.2016